22. September 2025 Philosophie Kolloquium

Wir laden herzlich ein:

Sprechen wir über chinesische Philosophie!

9. Kolloquium zur chinesischen Philosophie:

 

„Was heißt: chinesische Philosophie verstehen?“

 

Eröffnung und Begrüßung

Padraig Lysaght, Wien

 

Hans van Ess, Professor für Sinologie an der Ludwig-Maximilian-Universität München:

Konfuzianismus einmal ganz anders – Konfuzianische Werte in historisch-biografischen Quellen

Diskussion und Pause

 

Gerhard Weinberger, Diplomat, Autor und Übersetzer, Wien:

Das „Subjekt“ bei François Jullien nach seinem Durchgang durch das chinesische Denken

Diskussion und Pause

 

 

Cornelius Zehetner, Philosoph, Wien:

Resümee – zur Hermeneutik als Synthese von chinesischer und europäischer Philosophie

 

Schlussdiskussion

 

 

Moderation

Cornelius Zehetner, Wien

 

 

Ort: Universitätscampus Seminarraum 1 (Alserstraße 4, Hof 1, Eing. 1.6.1)

Zeit: Montag, 22. September 2025, 14:00 – 17:00

 

Zu den Vortragenden:

 

Hans van Ess, geb. 1962, studierte Sinologie, Turkologie und Philosophie. Nach dem Magister Artium Aufenthalt an der Fudan Universität Shanghai. 1992 Promotion in Hamburg mit einer Dissertation zur chinesischen Klassikergelehrsamkeit der Han-Zeit. 1992-1995 Länderreferent für China, Korea und die Mongolei im Ostasiatischen Verein Hamburg. Seit 1998 Lehrstuhl für Sinologie an der LMU München. Präsident der Max-Weber-Stiftung - Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland (2015-2023) und Vizepräsident für Forschung der LMU München (seit 2019-2025).

Arbeitsschwerpunkte: Geistesgeschichte Chinas, dessen traditionelle Geschichtsschreibung sowie Geschichte der chinesischen Interaktion mit Zentralasien und der in altaischen Sprachen abgefassten historischen Literatur, vor allem der Mongolen.

Publikationen: Mehrere Monographien zum Konfuzianismus und zur alten chinesischen Geschichtsschreibung, zudem drei allgemeinverständliche Einführungen zur chinesischen Philosophie und ihren Teilbereichen (Der Konfuzianismus (München, 2003, 2009 und 2023), Der Daoismus (München 2011), Chinesische Philosophie, München 2021). Aufsätze zur Geschichte der Mongolei. 2009 kommentierte Übersetzung der Schrift „Worte kennen“ des Song-Neokonfuzianers Hu Hong (Verlag der Weltreligionen). 2023 erschien seine Übersetzung der Gespräche des Konfuzius im C.H. Beck Verlag.

 

Gerhard Weinberger hat Sprachen in Graz und Wien und Philosophie in Wien und Paris studiert. Er verfasste seine Dissertation über Levinas und Merleau-Ponty an der Universität Paris-Nanterre und war viele Jahre im diplomatischen Dienst tätig, u.a. in Peking, Bangkok und Paris, zuletzt als österreichischer Botschafter in Dakar und Tunis.

Zuletzt veröffentlichte er die von ihm übersetzte und kommentierte Edition von Emmanuel Levinas‘ „Ethik als erste Philosophie“ und den Essai „Beunruhigungen - Ethik zwischen schlechtem Gewissen und wahrem Leben“.

 

 

9. Kolloquium zur chinesischen Philosophie, Vorträge-Abstracts

 

Hans van Ess, München:

Konfuzianismus einmal ganz anders - Konfuzianische Werte in historisch-biografischen Quellen

Wir sind es gewohnt, die altchinesische Philosophie anhand berühmter normativer Texte des chinesischen Altertums zu verstehen. Die Gespräche des Konfuzius, die Denker Mengzi und Xunzi, die mittlerweile alle mehrfach in westliche Sprachen übersetzt sind, liefern dabei die wichtigsten Grundlagen für unser Verständnis des Konfuzianismus. Dieses Vorgehen hat jedoch auch Fallstricke, die vor allem in der chinesischen Terminologie begründet sind. Zentrale Grundbegriffe sind oft schwer zu übersetzen, die Übersetzungsterminologie steuert aber unser Verstehen. Einen Ausweg aus dabei leicht entstehenden Missverständnissen bieten historische Texte, in denen Zitate aus den Gesprächen des Konfuzius in einen lebensweltlichen Zusammenhang eingebettet sind. Dieser Vortrag will zeigen, dass die Lektüre historischer Literatur manchmal zu überraschenden Lesarten führen kann.

 

Gerhard Weinberger, Wien:

Der Subjektbegriff bei François Jullien und seine Verbindung zu seiner Interpretation der chinesischen Philosophie

In Julliens „Spätwerk“ d.h. spätestens seit seinem Werk „Ein zweites Leben“, formuliert er einen Subjetbegriff, der zwar ganz von der (konkreten, diesseitigen) Erfahrung des Ich ausgeht, diesem aber die Fähigkeit, jedenfalls die Möglichkeit, zuspricht, über diese Erfahrung hinauszustreben und sich so zu einem erweiterten, zweiten, anderen Leben aufzuschwingen, ohne deshalb irgendein Jenseits annehmen zu müssen. Dazu muss sich der Mensch von seinem bisherigen, banalen Leben lösen und einen Sprung in Richtung eines „wahren“ Lebens wagen. Dies ist nicht ohne Risiko, und wird möglich durch die im Menschen angelegte Abneigung gegen die Langeweile und den Überdruss, und seine, nicht immer sichtbare Sehnsucht nach dem Unerhörten, Maßlosen, sich nicht in den vorgegebenen (gesellschaftlichen) Rahmen einengen Lassenden. Wie es z.B. in seinem Werk „L’inoui“ (das Unerhörte) beschrieben wird.

Dieser Subjektbegriff scheint der eines initiativen, wollenden Ichs zu sein, das kaum mehr mit dem in seinen früheren Werken übereinzustimmen scheint. Darin wird ja gerade ein europäischer (griechischer, heroischer) Subjektbegriff, insbesondere das Descart’sche Cogito, dem chinesischen Denken eines Ichs, das sich immer schon in einer gegebenen Situation weiß  und von dort aus vorsichtig, lateral, den Strom der Entwicklung zu beeinflussen versucht, entgegengesetzt. Keine Rede von einem Suchen nach einem Unerhörten, Maßlosen, sondern eher ein Plaidoyer für das Nachspüren nach der „Neigung der Dinge“ (z.B sein „La propension des choses“).

Man kann aber in Julliens Interpretation des (klassischen) chinesischen Denkens schon Ansätze einer Möglichkeit eines wollenden Ichs entdecken, in dem ein Streben nach Ungewöhnlichem, Neuen, steckt, und das sich davon anziehen lässt. Ich möchte das anhand des Begriffs der „Disponibilität“ erläutern, die er dem einer (europäischen) Subjektivität gegenüberstellt.